Zwanzig Jahre DLR-Parabelflug
Die Schwerkraft für kurze Zeit aussetzen – Grundlagenforschung mit Alltagsbezug.
Zum 34. Mal kamen vom 2. bis 13. September Wissenschaftler und Ingenieure deutscher Hochschulen und Forschungseinrichtungen ins südfranzösische Bordeaux, um an Bord des europaweit einzigen Parabelflugzeugs A310 ZERO-G unter der Flagge des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Schwerelosigkeit zu arbeiten. Parabelflüge gelten als Brücke ins All und dienen insbesondere als Testplattform von Experimenten für die Internationale Raumstation ISS.
Vierzehn unterschiedliche Teams nutzten die Vorbereitungs- und die anschließende Flugwoche, um besonderen Fragestellungen aus den Bereichen Physik, Biologie, Technologie und Materialwissenschaften sowie Humanphysiologie auf den Grund zu gehen. Als prominenter Experimentator war Matthias Maurer an Bord. Der deutsche ESA-Astronaut war Teil des FLUMIAS-Teams der Universitäten in Frankfurt und Marburg sowie von Airbus in Bremen. FLUMIAS ist ein Fluoreszenz-Mikroskop, mit dem man Zellen und Gewebe, unter anderem Pflanzenzellen, lebend und in hoher dreidimensionaler und zeitlicher Auflösung in der Schwerelosigkeit beobachten kann. „Pflanzen sind Modellorganismen für die Wahrnehmung und Anpassung an die Schwerkraft. Sie spielen auch im All eine wesentliche Rolle als Nahrungs- und Sauerstoffquelle sowie als Abfallregenerator. Wir haben im Parabelflug die Wahrnehmung und frühe Signalweiterleitung nach Schwerkraftänderungen untersucht“, erklärt Maurer. „Für mich war es besonders interessant, wie schnell die Pflanzen auf die Schwerelosigkeit reagieren und Botenstoffe ausschütten. Ich freue mich schon darauf, FLUMIAS in wenigen Jahren auf der Raumstation zu sehen und eventuell sogar selbst in Betrieb zu nehmen.“
FLUMIAS wurde von Airbus im Auftrag des DLR-Raumfahrtmanagements für den Einsatz beim Parabelflug und auf TEXUS-Forschungsraketen gebaut und bietet Wissenschaftlern seit 2014 die Möglichkeit, an lebenden Zellen in Schwerelosigkeit zu forschen. Auf der ISS kam im Jahr 2018 zudem ein Demonstrator eines weiterentwickelten FLUMIAS erfolgreich und erstmalig für das „Live-Cell-Imaging“ zum Einsatz. „Für die Zukunft steht das Projekt FLUMIAS-ISS an, das mit einer perfektionierten Form des Mikroskops Forschern aus Deutschland – und in Kooperation mit der ESA auch aus anderen Ländern – zur Verfügung stehen soll“, erläutert DLR-Parabelflugprogrammleiterin Katrin Stang.
Maurer hat außerdem als assoziiertes Teammitglied beim Experiment „Flying OCULUS“ mitgearbeitet: Entwickelt in einer Kooperation der TU Braunschweig mit der INVENT GmbH und dem Fraunhofer-IST wurde ein Prozess entwickelt, um die Oberflächen von Kohlenstoff-Faserverbund-Werkstoffen zu metallisieren. Ziel ist hierbei, weltraumtaugliche, leichte und kostensparende Spiegelsysteme herzustellen, die zum Beispiel bei Weltraumteleskopen eingesetzt werden können. „Wir haben beim Parabelflug das Konzept und die Mechanik der Entfaltung eines Leichtbauspiegels mit 75 Prozent Gewichtsreduktion im Vergleich zu konventionellen Spiegelsystemen in der Raumfahrt getestet, der in einem CubeSat-Kleinsatelliten eingebaut war“, sagt Maurer. „Leichtbau ist ein Schlüsselthema für die Raumfahrt. Denn jedes Kilogramm kostet mehr als zehntausend Euro, um es in den Weltraum zu bringen. Das System hat in Schwerelosigkeit erfolgreich funktioniert.“
Vom DLR selbst waren das Institut für Materialphysik im Weltraum in Kooperation mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung mit einem Experiment zum 3D-Druck in Schwerelosigkeit und das Institut für Robotik und Mechatronik mit ECOS, einem Experiment für teleoperierte Anwendungen an der Kampagne beteiligt. Bei ECOS geht es darum, anstelle eines Joysticks zur Steuerung eines Roboterarms im All eine Schnittstelle zu nutzen, die die Muskelaktivität elektrisch erfasst und durch die Kontraktion verschiedener Muskelgruppen Steuersignale erzeugt. Diese Technologie ist neben der Teleoperation auch für prothetische Anwendungen interessant.
Die Gründe, warum Parabelflugkampagnen so interessant für die Wissenschaft sind, waren übrigens vor zwanzig Jahren dieselben wie heute: „Auf der Erde herrscht immer und überall Schwerkraft. Aber was passiert genau in biologischen oder nichtbiologischen Systemen, wenn die Schwerkraft keinen Einfluss mehr hat? Der Parabelflug erlaubt über das spezielle Flugmanöver, die Schwerkraft für eine kurze Zeit lang auszusetzen, weil die wirkenden Kräfte sich gegenseitig aufheben. Das ist perfekt, um die vielen offenen Fragen in der Biologie, der Humanphysiologie, Materialforschung und Physik zu klären, die wir hier auf der Erde nicht beantworten können - und damit möglichst gut gerüstet zu sein, wenn es Richtung Exploration geht“, erklärt Stang.
Denn die einzige Möglichkeit, auf der Erde beziehungsweise in ihrem direkten Umfeld in Schwerelosigkeit zu forschen, sind Experimente in Falltürmen, Forschungsraketen oder eben - wenn Menschen ins Spiel kommen - bei Parabelflügen. Deutsche Wissenschaftler nutzten Parabelflüge schon seit den 1980er-Jahren, damals noch innerhalb des ESA-Programms oder über Kooperationen mit anderen Raumfahrtnationen. Die Firma Novespace organisierte im Auftrag der europäischen Raumfahrtagenturen ESA, CNES und DLR die Forschungsflüge bis 2014 mit einem umgebauten Airbus A300 ZERO-G, seit 2015 kommt dafür sein Nachfolger, ein Airbus A310 ZERO-G, zum Einsatz.
DLR / RK