19.09.2019

Zwanzig Jahre DLR-Parabelflug

Die Schwerkraft für kurze Zeit aussetzen – Grundlagenforschung mit Alltagsbezug.

Zum 34. Mal kamen vom 2. bis 13. September Wissenschaftler und Ingenieure deutscher Hochschulen und Forschungs­einrichtungen ins süd­französische Bordeaux, um an Bord des europa­weit einzigen Parabel­flugzeugs A310 ZERO-G unter der Flagge des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Schwere­losigkeit zu arbeiten. Parabelflüge gelten als Brücke ins All und dienen insbesondere als Test­platt­form von Experimenten für die Inter­nationale Raumstation ISS.

Abb.: Matthias Maurer und sein französischer ESA-Astronautenkollege Thomas...
Abb.: Matthias Maurer und sein französischer ESA-Astronautenkollege Thomas Pesquet schweben beim Parabelflug. Pesquet ist auch Pilot im A310 ZERO-G. (Bild: Novespace)

Vierzehn unterschiedliche Teams nutzten die Vorbereitungs- und die anschließende Flugwoche, um besonderen Frage­stellungen aus den Bereichen Physik, Biologie, Technologie und Material­wissenschaften sowie Human­physiologie auf den Grund zu gehen. Als prominenter Experimentator war Matthias Maurer an Bord. Der deutsche ESA-Astronaut war Teil des FLUMIAS-Teams der Universitäten in Frankfurt und Marburg sowie von Airbus in Bremen. FLUMIAS ist ein Fluoreszenz-Mikroskop, mit dem man Zellen und Gewebe, unter anderem Pflanzen­zellen, lebend und in hoher drei­dimensionaler und zeitlicher Auflösung in der Schwere­losigkeit beobachten kann. „Pflanzen sind Modell­organismen für die Wahrnehmung und Anpassung an die Schwerkraft. Sie spielen auch im All eine wesentliche Rolle als Nahrungs- und Sauerstoff­quelle sowie als Abfall­regenerator. Wir haben im Parabelflug die Wahrnehmung und frühe Signal­weiterleitung nach Schwerkraft­änderungen untersucht“, erklärt Maurer. „Für mich war es besonders interessant, wie schnell die Pflanzen auf die Schwere­losigkeit reagieren und Botenstoffe ausschütten. Ich freue mich schon darauf, FLUMIAS in wenigen Jahren auf der Raumstation zu sehen und eventuell sogar selbst in Betrieb zu nehmen.“

FLUMIAS wurde von Airbus im Auftrag des DLR-Raumfahrt­managements für den Einsatz beim Parabelflug und auf TEXUS-Forschungs­raketen gebaut und bietet Wissenschaftlern seit 2014 die Möglichkeit, an lebenden Zellen in Schwere­losigkeit zu forschen. Auf der ISS kam im Jahr 2018 zudem ein Demonstrator eines weiter­entwickelten FLUMIAS erfolgreich und erstmalig für das „Live-Cell-Imaging“ zum Einsatz. „Für die Zukunft steht das Projekt FLUMIAS-ISS an, das mit einer perfektio­nierten Form des Mikroskops Forschern aus Deutschland – und in Kooperation mit der ESA auch aus anderen Ländern – zur Verfügung stehen soll“, erläutert DLR-Parabel­flug­programm­leiterin Katrin Stang.

Maurer hat außerdem als assoziiertes Teammitglied beim Experiment „Flying OCULUS“ mitgearbeitet: Entwickelt in einer Kooperation der TU Braunschweig mit der INVENT GmbH und dem Fraunhofer-IST wurde ein Prozess entwickelt, um die Oberflächen von Kohlenstoff-Faserverbund-Werkstoffen zu metallisieren. Ziel ist hierbei, weltraum­taugliche, leichte und kosten­sparende Spiegel­systeme herzustellen, die zum Beispiel bei Weltraum­teleskopen eingesetzt werden können. „Wir haben beim Parabelflug das Konzept und die Mechanik der Entfaltung eines Leicht­bau­spiegels mit 75 Prozent Gewichts­reduktion im Vergleich zu konventio­nellen Spiegel­systemen in der Raumfahrt getestet, der in einem CubeSat-Klein­satelliten eingebaut war“, sagt Maurer. „Leichtbau ist ein Schlüssel­thema für die Raumfahrt. Denn jedes Kilogramm kostet mehr als zehntausend Euro, um es in den Weltraum zu bringen. Das System hat in Schwere­losigkeit erfolgreich funktioniert.“

Vom DLR selbst waren das Institut für Material­physik im Weltraum in Kooperation mit der Bundes­anstalt für Material­forschung und -prüfung mit einem Experiment zum 3D-Druck in Schwere­losigkeit und das Institut für Robotik und Mechatronik mit ECOS, einem Experiment für tele­operierte Anwendungen an der Kampagne beteiligt. Bei ECOS geht es darum, anstelle eines Joysticks zur Steuerung eines Roboterarms im All eine Schnittstelle zu nutzen, die die Muskel­aktivität elektrisch erfasst und durch die Kontraktion verschiedener Muskel­gruppen Steuer­signale erzeugt. Diese Technologie ist neben der Tele­operation auch für prothetische Anwendungen interessant.

Die Gründe, warum Parabel­flug­kampagnen so interessant für die Wissenschaft sind, waren übrigens vor zwanzig Jahren dieselben wie heute: „Auf der Erde herrscht immer und überall Schwerkraft. Aber was passiert genau in biologischen oder nicht­biologischen Systemen, wenn die Schwerkraft keinen Einfluss mehr hat? Der Parabelflug erlaubt über das spezielle Flugmanöver, die Schwerkraft für eine kurze Zeit lang auszusetzen, weil die wirkenden Kräfte sich gegenseitig aufheben. Das ist perfekt, um die vielen offenen Fragen in der Biologie, der Human­physiologie, Material­forschung und Physik zu klären, die wir hier auf der Erde nicht beantworten können - und damit möglichst gut gerüstet zu sein, wenn es Richtung Exploration geht“, erklärt Stang.

Denn die einzige Möglichkeit, auf der Erde beziehungs­weise in ihrem direkten Umfeld in Schwere­losigkeit zu forschen, sind Experimente in Fall­türmen, Forschungs­raketen oder eben - wenn Menschen ins Spiel kommen - bei Parabel­flügen. Deutsche Wissen­schaftler nutzten Parabel­flüge schon seit den 1980er-Jahren, damals noch innerhalb des ESA-Programms oder über Kooperationen mit anderen Raumfahrt­nationen. Die Firma Novespace organisierte im Auftrag der europäischen Raumfahrt­agenturen ESA, CNES und DLR die Forschungs­flüge bis 2014 mit einem umgebauten Airbus A300 ZERO-G, seit 2015 kommt dafür sein Nachfolger, ein Airbus A310 ZERO-G, zum Einsatz.

DLR / RK

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