19.11.2025 • Kernphysik

Rutheniumkerne in Form einer Kaffeebohne

Erstmals Hinweise auf eine dreiachsige Struktur im Verlauf der Kernradien kurzlebiger Rutheniumisotope entdeckt.

Mit Hilfe von Laserspektroskopie lässt sich die relative Größe verschiedener Atomkerne desselben Elements bestimmen, indem sie winzige Veränderungen in ihren Atomspektren detektiert. Federführend in einer internationalen Kollaboration haben Forschende der TU Darmstadt am Argonne National Laboratory in den vergangenen Jahren die neue Apparatur ATLANTIS für solche Experimente aufgebaut. Die hochsensitive Anlage ermöglichte dem Team, die Größe einer Reihe künstlich erzeugter radioaktiver Rutheniumkerne zu untersuchen, von denen bekannt ist, dass sie eine triaxiale Form besitzen.

Die untersuchten Ru-Kerne sind orange hervorgehoben. Eingezeichnet sind auch die magischen Zahlen 28 und 50.
Die untersuchten Ru-Kerne sind orange hervorgehoben. Eingezeichnet sind auch die magischen Zahlen 28 und 50.
Quelle: Bernhard Maaß / TU Darmstadt

Kerne in der Nähe der magischen Zahlen wie 28 oder 50, bei denen die Anzahl von Pro­to­nen und Neu­tro­nen die je­wei­ligen Scha­len ab­schließt, sind prak­tisch sphä­risch. De­for­mierte Kerne, die von der Kugel­gestalt abwei­chen, werden in den Kern­model­len meist als rota­tions­symme­tri­sche Kerne ange­nommen: Das heißt, von den drei Achsen einer Kugel ist eine gegen­über der anderen ver­kürzt – der Kern ist diskus­förmig, oblat – oder verlängert – wie bei einem Rugby­ball, prolat. Dadurch verän­dert sich der gemes­sene Kern­radius. Auch das elek­tri­sche Quadrupol­moment ver­rät, ob der Kern eher flach oder läng­lich ver­formt ist.

Bei einigen Kernen sind hinge­gen keine der Achsen gleich­lang, das bedeutet, statt eines kreis­runden Quer­schnitts senk­recht zur ver­länger­ten oder ver­kürz­ten Achse zeigt sich ein ellip­ti­scher Quer­schnitt. Dies sind die tri­axia­len Kerne, ihre Form ist etwa mit einer Kaffee­bohne oder einer Mandel ver­gleich­bar, bei denen auch alle drei Achsen unter­schied­liche Längen haben. Bei einigen kurz­lebi­gen Iso­to­pen des Elements Ruthe­nium, die jetzt unter­sucht wurden, lassen experi­men­telle Daten auf das Vor­lie­gen einer solchen tri­axialen De­for­ma­tion schließen.

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Der Einfluss dieser tri­axia­len Form auf den hier be­stimm­ten Kern­ladungs­radius ist je­doch viel sub­tiler als der Ein­fluss der Qua­dru­pol-De­for­ma­tion. Um den Ein­fluss der Tri­axia­li­tät den­noch zu unter­suchen, ver­wende­ten die For­schen­den ein neu­arti­ges theo­re­ti­sches Mo­dell, das an der Uni­ver­sität Brüs­sel ent­wickelt wurde, und des­sen Vor­her­sagen sie mit den neuen experi­men­tel­len Daten ver­gli­chen: „Die Über­ein­stim­mung ist aus­ge­zeich­net, aber nur, wenn wir eine drei­achsige Ver­for­mung berück­sich­tigen,“ erläu­tert Bern­hard Maaß, der den Auf­bau des Expe­ri­ments am Argonne National Labo­ra­tory vor Ort und später die Daten­analyse von Darm­stadt aus geleitet hat.

„Der Effekt, den wir beobach­teten, ist viel signifi­kanter als das, was man von einer ein­fachen Model­lie­rung des Kerns als Flüssig­keits­tropfen erwarten würde“, ergänzt Kristian König, der eben­falls von Beginn an in den Aufbau des Experi­ments invol­viert war und eine zweite unab­hängige Daten­auswer­tung vor­nahm. Dies zeigt einmal mehr, dass die interne, quanten­mecha­ni­sche An­ord­nung der Kern­bestand­teile bei der Dis­kus­sion über die Größe und Form von Kernen nicht igno­riert werden kann. 

Mit der Spektroskopie der Rutheniumisotope wurde nicht nur eine hochinteressante Isotopenkette untersucht, sondern auch die Leistungsfähigkeit des ATLANTIS-Experimentes im ersten Anlauf demonstriert. ATLANTIS wendet die Methode der kollinearen Spektroskopie an, bei der ein Laserstrahl und ein Teilchenstrahl parallel zueinander ausgerichtet werden. Die Technik wurde vor etwa fünfzig Jahren entwickelt und stetig verbessert.

Die ATLANTIS-Anlage ist dabei an eine besonders effiziente „Ionenfalle“ angekoppelt, in der die erzeugten kurz­lebigen Isotope über einen Zeitraum von bis zu einer halben Minute zunächst gesammelt und gekühlt wurden, bevor sie gemeinsam als Paket von einer Mikro­sekunde Dauer an das Experiment weitergeleitet wurden. Damit konnte der Unter­grund um mehr als den Faktor eine Million reduziert werden, was erlaubte, Isotope mit Produk­tions­raten von nur einigen zehn Ionen pro Sekunde zu untersuchen.

Eine weitere wichtige Neuerung war die Neutrali­sation der Ionen mittels Magnesium­atomen. Für diesen Zweck wurden bislang immer Alkali­metalle wie Natrium und Kalium eingesetzt. Es stellte sich heraus, dass mit Magnesium sehr hohe Neutrali­sations­effi­zienzen möglich sind, ohne dass dies nennens­werten Einfluss auf das Profil der beobachteten Resonanz­linien hat.

Die ATLANTIS-Strahllinie wurde bereits um 2010 für Experimente an der FAIR Anlage an der GSI entwickelt. Durch die Verzöge­rungen beim Bau des Darmstädter Beschleu­nigers wurde die Strahl­linie statt­dessen zum ANL in der Nähe von Chicago trans­portiert, weiter­entwickelt und jetzt erstmals für radioaktive Isotope einge­setzt. Das Experiment profi­tierte dabei von einer Quelle neutronen­reicher Spalt­produkte, die an der Argonne ATLAS Beschleu­niger­anlage externen Benutzern mittels Finan­zie­rung durch das US-Energie­minis­te­riums zur Verfügung gestellt wird. [TU Darmstadt / dre]

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