IPP-Team entwickelt supraleitende Spulenmodelle für Fusionskraftwerke
In dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt „HTS4Fusion“ erforscht das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik gemeinsam mit Partnern Magnettechnologien für Stellaratoren. Sie könnten kompaktere, effizientere Fusionskraftwerke ermöglichen.
Fusionsanlagen von Typ Stellarator gehören zu den vielversprechendsten Konzepten für den Bau eines Fusionskraftwerks. Ihre besondere Stärke liegt in der Fähigkeit, ein viele Millionen Grad heißes Plasma über lange Zeit stabil einzuschließen – ermöglicht durch ein hochkomplexes Magnetfeld. Dieses Magnetfeld wird in der Regel durch große, dreidimensional geformte Spulen erzeugt, wie sie beispielsweise im Wendelstein 7-X am Max-Planck-Institut (IPP) in Greifswald, dem weltweit modernsten Stellarator, zum Einsatz kommen. Die dortigen Spulen sind aus supraleitendem Material gefertigt, bei Kühlung auf etwa vier Kelvin fließt elektrischer Strom in ihnen verlustfrei.
Projekt „HTS4Fusion“




Für künftige Kraftwerke sind neuartige Hochtemperatursupraleiter (HTS) eine Option. Sie werden bereits bei höheren Temperaturen von bis zu 93 Kelvin supraleitend – oder sie erlauben bei niedrigeren Temperaturen besonders starke Magnetfelder. Letzteres könnte den Bau kompakterer und effizienterer Fusionskraftwerke ermöglichen. Der Bau solcher Spulen ist eine große Herausforderung für Konstrukteure und Ingenieure. HTS-Materialien sind mechanisch spröde und werden daher in Form von „Bändern“ – anstelle von beispielsweise herkömmlichen Runddrähten – auf stärkere Substrate aufgebracht, um sie verwendbar zu machen. Dennoch dürfen diese Bänder weder in ihrer endgültigen Konfiguration noch während des Wickelvorgangs übermäßig beansprucht werden, damit ihre supraleitenden Eigenschaften erhalten bleiben – eine Schwierigkeit, die durch die in modernen Stellarator-Konstruktionen typischerweise erforderlichen nicht-planaren Spulenformen noch verstärkt wird.
Offen ist auch, wie sich die HTS-Bänder und daraus hergestellte Spulen durch die in Fusionsreaktoren entstehenden Neutronen verändern. Das Bundesministerium für Forschung stellt daher insgesamt 7 Millionen Euro zur Verfügung, um die Forschung und Entwicklung von HTS-Bändern und -Spulen mit erhöhter Robustheit und Eignung für Fusionsanwendungen zu unterstützen.
Federführend im Projekt ist die Firma Theva Dünnschichttechnik GmbH aus Ismaning, die den größten Anteil der Fördermittel erhält (5,25 Millionen Euro). Theva entwickelt neuartige HTS-Kompositbänder, die speziell auf die Anforderungen in Fusionsanlagen zugeschnitten sind.
Der IPP-Standort Garching bei München wirkt an der Entwicklung dieser Materialien mit, indem ein Team Eigenschaften, die für die Herstellung nichtplanarer Spulen erforderlich oder vorteilhaft Eigenschaften sind, untersucht und die Leistungsfähigkeit kleiner Testspulen experimentell validiert. Das Institut erhält dafür Fördermittel in Höhe von 948.000 Euro. Ein dritter Partner des Projekts ist die Forschungsneutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) an der TU München, die untersucht, wie die Leistung der Bänder durch Neutronenbestrahlung beeinflusst wird.
„In künftigen Fusionskraftwerken müssen Spulen extreme Anforderungen erfüllen, starke Magnetfelder erzeugen und bei kryogenen Temperaturen zuverlässig funktionieren. Außerdem müssen sie groß sein – in einer Größenordnung von mehreren Metern“, erklärt Gruppenleiterin Dr. Eve Stenson, die den IPP-Teil des Projekts verantwortet. „Es gibt jedoch grundlegende Fragen zum neuartigen Design von HTS-Bändern und -Spulen, die mit kleineren, schnelleren Prototypen mit geringeren Feldstärken untersucht werden können – im Austausch von öffentlichem und privatem Sektor. Genau darum geht es in unserem Projekt.“ Beispielsweise stoßen herkömmliche supraleitende Bänder an physikalische Grenzen, wenn sie zu komplexen 3D-Formen gewickelt werden. Zu starke Biegungen oder eine ungünstige Ausrichtung zu den von ihnen erzeugten Magnetfeldern können ihre supraleitenden Eigenschaften drastisch verschlechtern oder sogar zerstören. Aus diesem Grund legt das Projekt „HTS4Fusion“ einen besonderen Schwerpunkt auf Tests des JANUS-Konzepts („Joint Angled Unconventional Superconductor“).
Durch Kombination mehrerer Schichten zu verbesserter Leistung
Anstelle eines einlagigen HTS-Bandes schlägt der JANUS-Ansatz eine Verbundstruktur mit mehreren Schichten vor – beispielsweise zwei supraleitende Schichten, die durch eine leitfähige Zwischenschicht verbunden sind. Diese Architektur soll eine effektive Stromverteilung zwischen den Schichten ermöglichen: Wenn eine Schicht ihre Belastungs- oder Feldgrenze erreicht – oder einen Defekt aufweist (z. B. aufgrund von Neutronenbestrahlung) – kann ein Teil des Stroms auf die benachbarte Schicht ausweichen. Das verbessert die Gesamtstromtragfähigkeit und die Robustheit der Spule – was eine wichtige Innovation für zuverlässige, leistungsstarke Fusionsmagnete sein könnte. Das Design ermöglicht auch eine bessere Anpassung an die komplexen Magnetfeldverteilungen, die für Stellaratoren typisch sind.
„Wir möchten Theva dabei unterstützen, HTS-Bänder herzustellen, die sich besser für die Fertigung von Stellarator-Spulen eignen“, erklärt Stenson. „Wir werden detaillierte Spezifikationen bereitstellen, die auf Simulationen und Konstruktionsberechnungen basieren und durch Prototypentests validiert wurden.“ Die Gruppe stützt sich dabei auf Erfahrungen aus früheren Projekten, in denen verschiedene HTS-Spulen – planare und nicht planare – für grundlegende plasmaphysikalische Experimente zum Einsatz kamen.
Ein zentrales Thema beim Design von Stellarator-Magneten ist die Anisotropie des kritischen Stroms: Der maximale Strom, den das HTS-Band ohne Widerstand transportieren kann, hängt nicht nur von der Temperatur und der Feldstärke ab, sondern auch vom Winkel zwischen dem Band und dem Magnetfeld. Die Bänder von Theva zeigen ihre Spitzenleistung, wenn das Magnetfeld in einem Winkel von dreißig Grad zur Bandoberfläche geneigt ist.
Das JANUS-Konzept schlägt vor, diese Winkelabhängigkeit durch die Kombination von zwei HTS-Schichten mit unterschiedlichen Ausrichtungen zu nutzen. Dies könnte insbesondere für Stellarator-Konstruktionen von Vorteil sein, erfordert jedoch weitere Berechnungen und experimentelle Validierung. Das IPP-Team wird diese Erkenntnisse in die Modellierung und Prototypentwicklung von HTS-Stellarator-Spulen einfließen lassen, um JANUS-Bänder zu nicht-planaren Spulengeometrien zu formen und dabei sowohl mechanische Beschädigungen der supraleitenden Schichten zu vermeiden als auch die Robustheit der Spulenleistung gegenüber potenziellen Fehlerquellen und Unsicherheiten zu verbessern. Dazu gehören die Optimierung der Bandwickelwinkel – dies ist vergleichbar mit einer Achterbahnstrecke, die das Band für ein bestimmtes Stellarator-Design strategisch ausrichtet – die Auswahl geeigneter Trägermaterialien und die Implementierung einer kontrollierten Kryokühlung.
IPP-Forschende bauen Modelle für Stellarator-Spulen
Dabei greift die Stenson-Gruppe auf Erfahrungen zurück, die sie in bisherigen Projekten sammeln konnte. Für das EPOS-Experiment (Electrons and Positrons in an Optimized Stellarator) beispielsweise nutzt die Gruppe die Open-Source-Designsoftware SIMSOPT und leistet Beiträge dazu – beispielsweise in Zusammenarbeit mit Partnern an der Columbia University und dem Start-up-Unternehmen Proxima Fusion, um HTS-mechanische Spannungsbeschränkungen direkt in die Optimierung des Stellarator-Designs zu integrieren.
Erste Testspulen entstehen auf eigens gefertigten 3D-gedruckten Rahmen und werden bei Temperaturen um 20 K auf ihre Belastbarkeit geprüft. Zusätzlich zu ihrer mechanischen Robustheit untersuchen die IPP-Forscher das thermische Verhalten der Spulen. Die Demonstratorspulen haben einen Durchmesser von einigen Zentimetern bis maximal einem Meter, was weniger als einem Viertel der Größe von Reaktorsystemen entspricht. [IPP / dre]
Anbieter
Max-Planck-Institut für PlasmaphysikBoltzmannstraße 2
85748 Garching b. München
Deutschland
Meist gelesen

Mit Plasma glasfaserverstärkte Kunststoffe recyceln
Verfahren nutzt einen allothermen Gasifizierungsprozess, um Synthesegas als Rohstoff für neue Kunststoffe zu erzeugen.

Muskeln aus dem 3D-Drucker
Synthese von dielektrischen elastischen Aktoren aus Silikon-Materialien.

Stoffe berührungslos mit einer Fingerbewegung steuern
Waschbare, gestenbasierte Technologie könnte elektronische Textilien verbessern.

Solarzellen auf Mondglas
Photovoltaik könnte die Energie für eine zukünftige Basis auf dem Erdtrabanten liefern.

Technologieentwicklung für Galliumoxid gestartet
Neues Labor am IKZ schließt Lücke in der Wertschöpfungskette für das neuartige Halbleitermaterial.