15.04.2024

Strahlende Forschung mit Abwegen

Zum 150. Geburtstag des umstrittenen Physik-Nobelpreisträgers Johannes Stark (1874 – 1957)

Anne Hardy

Johannes Stark hat in der Physikgeschichte zwiespältige Erinnerungen hinterlassen. Auf der einen Seite steht die Entdeckung des Stark-Effekts, für den er 1919 den Physik-Nobelpreis erhielt. Auf der anderen Seite vertrat er die faschistische „Deutsche Physik“ und war seit 1928 Mitglied der NSDAP.

Vieles an Stark ist widersprüchlich. So gründete er 1904 die Zeitschrift „Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik“, in der er sich früh für die Quantentheorie einsetzte. Er lud Einstein ein, darin über die Spezielle Relativitätstheorie zu publizieren, als dieser noch am Patentamt in Bern arbeitete. Doch 30 Jahre später diffamierte er die moderne Physik als „jüdische Physik“.

Der Schlüssel zu diesem widersprüchlichen Verhalten lag vermutlich in Starks Charakter. Einstein charakterisierte ihn als einen höchst egozentrischen Menschen von ungewöhnlich starkem Geltungsbedürfnis: „Seine Gegnerschaft gegen die Relativitätstheorie und sein politisches Verhalten beruhen nach meiner Ansicht auf diesem paranoiden Grundzug.“ Der Stark-Biograf Dieter Hoffmann führt dessen Verhalten auf „ein beinahe krankhaft zu nennendes Bedürfnis nach Opposition gegenüber herrschenden Lehrmeinungen“ zurück.

Johannes Stark um 1919, als er den Physik-Nobelpreis für seine Entdeckung des...
Johannes Stark um 1919, als er den Physik-Nobelpreis für seine Entdeckung des optischen Doppler-Effekts in Kanalstrahlen erhalten hat.

Geboren am 15. April 1874 als Sohn eines Bauern in der Oberpfalz, arbeitete sich der junge Stark empor. In seine Studienzeit in München (1894 – 1900) fielen die Forschungen Philipp Lenards zu Kathodenstrahlen und die Entdeckung der Röntgenstrahlen. Als Wilhelm Conrad Röntgen 1900 Lommels Nachfolger wurde, zeigte er kein Interesse an dem jungen Stark. So wechselte dieser an die Universität Göttingen zu dem Experimentalphysiker Eduard Riecke, mit dem ihn bald eine „wissenschaftliche Freundschaft“ verband.

In seiner Autobiografie schreibt Stark über die Hochburg der Physik: „In diesen brodelnden wissenschaftlichen Kessel war ich im Frühjahr 1900 hineingesprungen.“ Mit großem Eifer machte er sich daran, sich dem dortigen Wissensstand anzugleichen. Eine Frucht dieses Studiums war das Buch „Die Elektrizität in Gasen“, in dem er 1902/03 die Erscheinungen in ionisierten Gasen zusammenfasste. Er sagte auch den Doppler-Effekt an Kanalstrahlen voraus, den er 1906 experimentell nachwies.

1905 heiratete er und suchte nach einer festen Anstellung. Es folgte eine unruhige Zeit mit Anstellungen in Hannover, Braunschweig und Greifswald. 1909 erhielt er das ersehnte Ordinariat an der Technischen Hochschule Aachen. Er bot dem um fünf Jahre jüngeren Albert Einstein eine Assistentenstelle an. Doch dieser hatte schon eine Dozentur in Zürich in Aussicht.

In seinem gut ausgestatteten Aachener Institut gelang Stark 1913 der Nachweis des nach ihm benannten Effekts. Auf Anregung des Theoretikers Woldemar Voigt hatte er bereits in seiner Göttinger Zeit nach der Aufspaltung des Wasserstoff-Spektrums im elektrischen Feld gesucht. Der Effekt ist jedoch kleiner als die 1896 von Pieter Zeeman entdeckte Aufspaltung in Magnetfeld. Eine Herausforderung bestand darin, ein hohes, möglichst homogenes elektrisches Feld über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten.

Stark verwendete eine evakuierte Glasröhre mit Wasserstoff (bzw. Helium) als Restgas. In einem ersten Teil der Röhre wurden zwischen Anode und Kathode Gasentladungen erzeugt. Die dabei entstandenen positiv geladenen Wasserstoff-Ionen (Protonen) wurden Richtung Kathode beschleunigt und traten durch Löcher in der Kathode (Kanalstrahlen) in den zweiten Teil der gasgefüllten Röhre ein. Eine in wenigen Millimetern zur Kathode angebrachte weitere Elektrode erlaubte es, eine Spannung anzulegen und elektrische Felder zwischen 13 und 31 kV/cm parallel zum Strahl zu erzeugen.

Die Wechselwirkung des Ionenstrahls mit dem Restgas führt in diesem Bereich der Glasröhre zur Lichtemission, sodass eine genaue Untersuchung des Linienspektrums möglich ist. Die Lichtemission kommt zum einen aufgrund der Anregung der Restgasatome durch den Ionenstrahl zustande, zum anderen durch Elektroneneinfang der Ionen mit anschließenden Atomübergängen. Stark konnte eine von der Stärke des elektrischen Feldes abhängige Aufspaltung des Spektrums beobachten.

1917 ging Stark zurück nach Greifswald, um den Auswirkungen des Krieges in Aachen nahe der belgischen Grenze zu entgehen und seine mittlerweile siebenköpfige Familie in Sicherheit zu bringen. In Greifswald wurde er zum Begründer der Plasmaphysik. Während der November-Revolution 1918/19 vertrat er – erstmals politisch aktiv – vehement die antirevolutionäre Seite und zog sich die Feindschaft der Arbeiter- und Soldatenräte zu. Es kam zu einem bedrohlichen Aufmarsch vor seinem Haus. Stark verschanzte sich mit seiner Familie über mehrere Stunden im obersten Stockwerk und fürchtete um sein Leben.

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Gabriele Metzler • 12/2019 • Seite 47

Ein „deutscher Sieg“?

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Andreas Kleinert • 7/2012 • Seite 51

Verdienste und Verfehlungen

Dieter Hoffmann und Mark Walker • 3/2006 • Seite 53

Zwischen Autonomie und Anpassung - Die DPG im Dritten Reich

Nachdem er erfahren hatte, dass er den Physik-Nobelpreis des Jahres 1919 erhalten sollte, gab Stark seine Professur in Greifswald auf und zog mit seiner Familie zurück in seine oberpfälzische Heimat. Er spekulierte auf eine Professur in Würzburg, die er Ende 1920 auch erhielt. Zwei Jahre später kam es jedoch zu einem Zerwürfnis. Stark, dessen Selbstbewusstsein durch den Nobelpreis weitergewachsen war, verhielt sich starrköpfig und legte seine Professur gekränkt nieder. Da seine Bewerbungen auf andere Professuren, etwa in Marburg, erfolglos blieben, betrieb er privat weiter Forschung. Er manövrierte sich fachlich zunehmend in die Position eines Außenseiters.

1928 zog er nach München, weil er in der Nähe einer Universität sein und die Veranstaltungen Hitlers und seiner NSDAP besuchen wollte. Er nutzte sein Ansehen als Nobelpreisträger, um das Bildungsbürgertum für Hitler zu gewinnen. So verfasste er 1930 die Propagandaschrift „Adolf Hitlers Ziele und Persönlichkeit“. Zusammen mit Philipp Lenard als Chef-Ideologen wurde er zu einem der wenigen Vertreter der „Deutschen Physik“ – einer Mischung zwischen Antisemitismus und Ablehnung der modernen Physik. Es herrschte ein tiefes Misstrauen gegenüber der zunehmenden Mathematisierung der Physik durch „jüdische Physiker“ wie Einstein, Born und Pauli. Werner Heisenberg wurde als „weißer Jude“ diffamiert.

1933 bewarb sich Stark bei den neuen Machthabern erfolgreich um die Nachfolge von Friedrich Paschen als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. 1934 wurde er außerdem Präsident der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (der Vorläuferin der Deutschen Forschungsgemeinschaft). Er entschied autokratisch über die Vergabe von Mitteln, ohne jedoch vollständig kontrollieren zu können, welche Art von Physik in Deutschland betrieben wurde. Mark Walker und Dieter Hoffmann zufolge gelang es Einzelpersonen und Gruppen immer wieder, bei den Nazis Fürsprecher für die moderne Physik zu finden – nicht zuletzt deshalb, weil Stark sich auch in der nationalsozialistischen Führungselite Feinde machte und 1936 den Dienst quittierte. Eine Gleichschaltung der Physik fand auch deshalb nicht statt, weil die ideologische Reinheit der Wissenschaft die Nazis weniger interessierte als deren Nutzen, insbesondere für die Kriegsführung.

Starks Bemühung um den Vorsitz der DPG und um seine Berufung in die Berliner Akademie der Wissenschaften scheiterten. 1939 wurde er pensioniert und zog sich auf sein Gut Eppenstatt bei Traunstein zurück. Er agitierte jedoch weiterhin für die „Deutsche Physik“. Zum Bruch mit der NSDAP kam es 1943 – aber nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil die Partei ihm die Zuweisung einer polnischen Zwangsarbeiterin verweigert hatte. Die Amerikaner inhaftierten Stark Im Juni 1945; er blieb jedoch nicht lange im Gefängnis. In einem Prozess wurde er 1947 zunächst als Kriegsverbrecher eingestuft, in den Berufungsverhandlungen 1949 galt er nur noch als minderbelastet. Er starb verbittert im Alter von 83 Jahren auf seinem Gut.

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