12.03.2024

Der erste Professor für theoretische Physik

Vor 200 Jahren wurde Gustav Kirchhoff geboren, der mit Robert Bunsen die Spektralanalyse entwickelte und den Weg zum Planckschen Strahlungsgesetz ebnete.

Anne Hardy

Eine der wichtigsten Entdeckungen des 19. Jahrhunderts beruht auf der Freundschaft zwischen einem Physiker und einem Chemiker: Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen entwickelten zusammen die Spektralanalyse. Sie führte nicht nur zu Entdeckung neuer chemischer Elemente und zur Analyse des Sonnenspektrums. Kirchhoffs Überlegungen gipfelten zudem in dem nach ihm benannten Strahlungsgesetz. Er bahnte damit den Weg für das Plancksche Strahlungsgesetz und die moderne Physik.

Gustav Robert Kirchhoff in seinen späteren Jahren
Gustav Robert Kirchhoff in seinen späteren Jahren

Geboren am 12. März 1824 in Königsberg als Sohn eines Justizrats, studierte Gustav Kirchhoff an der Universität seiner Heimatstadt. Prägend waren für ihn die Vorlesungen des Physikers Franz Neumann, des Begründers der theoretischen Physik in Deutschland, und des Mathematikers Friedrich Julius Richelot, dessen Tochter Kirchhoff 1857 heiraten sollte.

Noch als Student schrieb der 21-jährige Kirchhoff eine Arbeit „Über den Durchgang elektrischen Stromes durch eine Ebene“. In dieser leitete er als Nebenprodukt die nach ihm benannten Regeln für die Stromverzweigungen (Knotenregel) und die Spannungen (Maschenregel) in elektrischen Netzwerken ab. Interessanterweise sollten 20 Jahre vergehen, bis der französische Telegrafeningenieur Jules Raynaud deren praktische Bedeutung erkannte. Und erst ab 1870, als die Regeln Eingang in ein Lehrbuch der Pariser „École Polytechnique“ gefunden hatten, wurden sie routinemäßig von Ingenieuren angewendet.

Mit 23 Jahren schloss Kirchhoff seine Promotion ab. Die brachte ihm ein Stipendium für eine wissenschaftliche Reise nach Paris ein, das er jedoch wegen der revolutionären Unruhen von 1848 nicht einlöste. Stattdessen ging er nach Berlin und habilitierte sich dort für mathematische Physik. 1850 erhielt er eine außerordentliche Professur an der Universität Breslau. Dort begegnete er 1851 dem Chemiker Robert Wilhelm Bunsen, der 13 Jahre älter war, im Gegensatz zu Kirchhoff einen sinnlich, anschaulichen Zugang zur Wissenschaft hatte und intuitiv begabt war. Robert von Helmholtz, ein Sohn von Hermann von Helmholtz, beschreibt Bunsen als „stark, breitschultrig, seinem Temperament nach lebhafter, unmittelbarer wirkend, eine Jedem sofort imponierende volle Natur.“

Als Bunsen im folgenden Jahr an die Universität Heidelberg berufen wurde, setzte er als Dekan alles daran, seinem Freund dort ebenfalls eine Professur zu vermitteln. Dies gelang, als 1854 der Physiker Philipp von Jolly emeritiert wurde. Zu dieser Zeit war Kirchhoff nur in einem kleinen Kreis theoretischer Physiker bekannt. Doch Bunsens warme Empfehlung öffnete dem zart gebauten, ungewöhnlich jungen, sehr bescheidenen, fast schüchtern auftretenden Norddeutschen ebenso die Türen wie „sein feines geistvolles Gespräch, sein liebenswürdiges, gegen Alle gleich höfliches und freundliches Wesen und sein ausgesprochener Sinn für Humor und Witz“, berichtet Helmholtz.

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Bei Kirchhoffs Ankunft in Heidelberg waren er und Bunsen beide Junggesellen. Sie machten gemeinsame Spaziergänge im Neckartal und Odenwald, fuhren zusammen in den Urlaub, und besuchten abends das Heidelberger Theater. Auch als Kirchhoff 1857 heiratete, verbrachten die Freunde weiterhin viel Zeit miteinander. Möglicherweise geschah es auf einem Spaziergang, das Bunsen von seiner Forschung mit dem englischen Studenten Rowlandson Cartmell erzählte. Bunsen hatte schon seit den 1850er-Jahren versucht, die chemische Zusammensetzung von Salzen zu analysieren, indem er sie in der Flamme des von ihm entwickelten Brenners verdampfte und die Flammenfärbung beobachtete. In der Hoffnung, eine charakteristische Färbung zu entdecken verwendete er Farbfilter – jedoch ohne Erfolg. Kirchhoff schlug ihm vor, stattdessen Prismen bzw. ein Spektroskop mit einer Reihe von Prismen zu nutzen. Das war die Geburtsstunde der Spektralanalyse.
 
Ab 1859 veröffentlichten die Freunde die charakteristischen Spektrallinien einiger Alkalimetalle sowie anderer chemischer Elemente. 1861 entdeckten sie bei der Spektralanalyse der neu erschlossenen Maxquelle in Bad Dürckheim auch zwei neue Elemente, die sie nach ihrer charakteristischen blauen bzw. roten Spektrallinie Caesium und Rubidium tauften.

Bald fielen ihnen in den Spektren auch helle Linien vor einem dunklen Grund auf. Kirchhoff brachte sie mit den von Joseph Fraunhofer systematisch erforschten dunklen Linien im Sonnenspektrum in Verbindung. Dieser hatte festgestellt, dass die dunklen D-Linien an der Stelle der Natriumlinien im Spektrum auftraten. Kirchhoff fand dafür eine Erklärung: Die Sonne bestehe aus einem glühenden Kern, der ein kontinuierliches Spektrum abstrahle und die schwarzen Linien entstünden, weil Elemente aus der Gashülle charakteristische Frequenzen absorbierten.

„Diese Untersuchungen verursachten uns schlaflose Nachte“, schrieb Bunsen an seinen Schüler Henry Roscoe in Manchester, „denn die Methode konnte die Zusammensetzung der Sonne und der Sterne mit der gleichen Zuverlässigkeit enthüllen, wie chemische Methoden dies für irdische Stoffe taten.“ Mit Feuereifer begann Kirchhoff 1860 eine detaillierte Analyse des Sonnenspektrums. Dabei überanstrengte er seine Augen so stark, dass einer seiner Studenten die Arbeit am Atlas des Sonnenspektrums vollenden musste. Für die Astrophysik wurde die Spektralanalyse zu einem enorm wichtigen Instrument.

Gustav Kirchhoff, Robert Bunsen und Henry Roscoe im Jahr 1862
Gustav Kirchhoff, Robert Bunsen und Henry Roscoe im Jahr 1862

Für die Entdeckung der Spektralanalyse beanspruchten auch andere Forscher die Priorität. Ihnen war aufgefallen, dass Natrium genau dasselbe Licht absorbierte, das es auch ausstrahlte. Doch Kirchhoffs Biograph Klaus Hentschel weist darauf hin, dass Kirchhoff diese Beobachtung als erster verallgemeinerte. Was den jeweiligen Anteil des Chemikers und Physikers an der Entdeckung betrifft, so urteilt Robert von Helmholtz: „Die Ursache, warum Kirchhoff die Spektralanalyse entdeckte, war, glaube ich, doch Kirchhoffs Genius, und wenn diesen noch ein glücklicher Zufall unterstützte, so war es allein die Anregung und die tatkräftige Unterstützung durch Bunsen.“

Eine für den Theoretiker Kirchhoff typische Überlegung galt dem Verhältnis zwischen dem Absorptions- und Emissionsvermögen verschiedener Körper. Das Kirchhoffsche Strahlungsgesetz, das zeitgleich von Balfour Stewart formuliert wurde, besagt, dass dieses Verhältnis nur von der Temperatur und Wellenlänge, nicht aber von den Materialeigenschaften abhängt. Um dies zu beweisen, entwickelte Kirchhoff das Konzept des „schwarzen Körpers“. Die gesuchte universelle Funktion konnte er allerdings nicht angeben. Wilhelm Wien, Max Planck und schließlich Albert Einstein sollten seine Arbeit fortsetzen.

1863 bezog Kirchhoff mit seiner Frau und den vier Kindern gemeinsam mit der Familie von Hermann von Helmholtz das neuerbaute naturwissenschaftliche Institut der Universität Heidelberg. Er verbrachte dort fünf glückliche Jahre im Kreis der Familie und enger Freunde. 1868, im Alter von 44 Jahren, verletzte er sich beim Sturz auf einer Treppe den Fuß. Die Verletzung heilte schlecht, sodass Kirchhoff zeitweise im Rollstuhl saß. Ein Jahr später traf ihn ein weiterer Schlag, als seine Frau Clara im Alter von 35 Jahren starb. Die beiden jüngeren Töchter gingen daraufhin zu Verwandten, während die Söhne bei ihrem Vater blieben. 1872 heiratete Kirchhoff die Ärztin Luise Brömmel, die in der Heidelberger Augenklinik arbeitete.

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Als akademischer Lehrer übte Kirchhoff eine große Anziehungskraft aus. Zeitgenossen beschreiben seinen Vortrag als ruhig, klar und sorgsam durchdacht. Von seinen Vorlesungen erschien zu seinen Lebzeiten nur der erste Band zur Mechanik. Die folgenden Bände wurden posthum von seinen Schülern herausgegeben.

Mit der Gründung eines mathematisch-physikalisches Seminars in Heidelberg (mit Leo Königsberger) realisierte Kirchhoff 1869 einen Traum: Dort konnte er mathematische Physik nach dem Vorbild seines Lehrers Franz Neumann lehren. „Es gibt wohl kein Gebiet der klassischen Physik, zu dem er nicht originelle, fruchtbare Beiträge lieferte“, urteilte der Experimentalphysiker Walther Gerlach. Zudem war Kirchhoff an einigen chemischen Arbeiten von Bunsen beteiligt.

1875 nahm er einen Ruf nach Berlin an, nachdem er zweimal abgelehnt hatte, und bekleidete dort die erste Professur für theoretische Physik in Deutschland. Zu seinen später einflussreichen Schülern gehören Heinrich Hertz, Max Planck, Ludwig Boltzmann, Gabriel Lippmann und Heike Kammerlingh-Onnes.

In Berlin heilte Kirchhoffs Fußverletzung aus, aber seine Gesundheit blieb angeschlagen. Auf Rat seiner Ärzte setzte er 1884, mit 60 Jahren, seine Vorlesungstätigkeit für kurze Zeit aus, nahm sie aber im Wintersemester 1885/86 unter großer Anstrengung noch ein letztes Mal auf. Er starb am 17. Oktober 1887 – offenbar an einem schweren, aber schmerzlosen Hirnleiden. Sein Freund Bunsen überlebte ihn um 12 Jahre.

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