Der eine Vater des Mikrochips
Der amerikanische Elektroingenieur und Physik-Nobelpreisträger Jack Kilby wurde vor 100 Jahren geboren.
Anne Hardy
Jack Kilby, geboren am 8. November 1923 in Jefferson City, Missouri, entdeckte seine Begeisterung für Technik während eines Blizzards im April 1938 in Great Bend, Kansas. Dort war sein Vater Direktor des lokalen Stromanbieters. Da der Ort nicht nur verkehrs- sondern auch nachrichtentechnisch von der Außenwelt abgeschnitten war, halfen Amateurfunker Jacks Vater, den Kontakt zu den anderen Stromanbietern in Kansas herzustellen. Der 14-jährige wurde daraufhin selbst Amateurfunker – mit einem Gerät Marke Eigenbau.
Sein Wunsch, am MIT Ingenieurwissenschaften zu studieren, scheiterte daran, dass er die erforderliche Punktzahl in der Mathematikprüfung knapp verfehlte. So studierte er an der University of Illinois und stand kurz vor dem Bachelor-Abschluss, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Aufgrund seiner Amateurfunkerfahrung wurde Kilby der Fernmeldetruppe zugeteilt und arbeitete später für den OCC, einen Vorläufer des heutigen CIA. Von seinem ersten Einsatzort in Indien nahe der Grenze zu Burma wurde er kurz vor Kriegende für sechs Monate nach China versetzt.
1947 holte er seinen Abschluss nach und heiratete Barbara Annegers. Das Paar bekam zwei Töchter. Im gleichen Jahr nahm Kilby ein Angebot von Centralab in Milwaukee, Wisconsin an. Das Unternehmen stellte Radios, Fernseher und Hörgeräte her. Parallel dazu machte er seinen Master an der University of Wisconsin, den er 1950 abschloss. Als er 1948 von der Erfindung des Transistors hörte, begann er, alles über die neue Technik zu lernen und gründete bei Centralab eine kleine Gruppe, die sich mit der Einführung von Transistoren befasste. In dieser Zeit beantragte er erfolgreich zahlreiche Patente.
Mitte der 1950er-Jahre erkannten viele Elektroingenieure ein Problem, das sie als „Tyrannei der Zahlen“ bezeichneten. In einem Interview anlässlich des Nobelpreises erklärt Kilby: „Dieser Ausdruck entstand, weil man sich elektronische Geräte vorstellen konnte, die nützlich wären, wenn man sie bauen könnte, die aber aufgrund der vorhandenen Technologie zu teuer, zu sperrig und zu unzuverlässig waren, weil sie aus sehr vielen Teilen bestanden.“ Er illustrierte dies am Beispiel des 1946 gebauten ENIAC-Rechners, der über viele Jahre der schnellste Computer weltweit war: ein Monster aus 17.000 Vakuumröhren – ganz abgesehen von Gewicht, Platzbedarf und Energiekosten.
Wie er in seinem Nobelvortrag erklärte, existierten damals drei verschiedene Lösungsansätze. Eine Gruppe meinte, das Zusammensetzen der Bauteile stelle das Hauptproblem dar und normierte Größen könnten den Prozess automatisieren. Andere betrachteten die Dünnschicht-Technologie als Lösung. Und eine dritte Gruppe wollte gänzlich neue Materialien einsetzen, die verschiedene Funktionen eines Schaltkreises in sich vereinten – etwa einen Quarzkristall, der gleichzeitig als Induktor und Kondensator fungieren konnte. Kilby sah die Aufgabe der Miniaturisierung hauptsächlich darin, die Zahl der Materialien und Produktionsschritte zu minimieren.
Texas Instruments (TI) war das einzige Unternehmen, das Kilby erlaubte, Vollzeit an der Miniaturisierung von Schaltkreisen zu arbeiten. So zog er 1958 mit seiner Familie nach Dallas. Als sich seine Kollegen in den Sommerurlaub verabschiedeten, den er selbst wegen seiner Probezeit nicht antreten durfte, hatte er am 24. Juli 1958 die entscheidende Idee: Statt Transistoren, Widerstände und Dioden auf Platinen zu löten und miteinander zu verdrahten, wählte er einen „monolithischen Ansatz“. Alle Komponenten sollten aus einem Block desselben Materials – eines Halbleiters – gearbeitet sein. Den monolithischen Ansatz hatte einige Jahre zuvor der Brite Geoffrey Dummer vorgeschlagen, aber nicht praktisch umsetzen können.
Als sein Chef aus dem Urlaub zurückkam, präsentierte Kilby seinen integrierten Schaltkreis aus Germanium auf einem Glasplättchen – nicht größer als eine Büroklammer. Den Beweis, dass dieser Ansatz wirklich funktionierte, erbrachte er am 12. September. Als er den Strom anlegte, begann der Schaltkreis mit einer Frequenz von 1,3 Megahertz zu schwingen. Am 6. Februar 1959 meldete Texas Instruments das weltweit erste Patent für einen integrierten Schaltkreis an. Dies löste einen über zehn Jahre dauernden Patentstreit mit Robert Noyce von der Firma Fairchild Semiconductor aus, der wenige Monate nach Kilby ebenfalls einen Mikrochip gebaut hatte – und zwar aus Silizium. Schließlich wurden beide als Erfinder des Mikrochips anerkannt und Kilby gedachte des 1990 verstorbenen Noyce in seinem Nobelvortrag als desjenigen, mit dem er den Preis hätte teilen müssen.
Die Öffentlichkeit reagierte auf die Erfindung des Mikrochips zunächst kritisch. So glaubte man nicht, dass sich solche Schaltkreise profitabel herstellen lassen, oder ging davon aus, dass die Transistoren auf den Schaltkreisen nicht gut funktionieren würden.
Erst Mitte der 1960er-Jahre kam der Wendepunkt durch Raketenprogramme, die Mikrochips erfolgreich einsetzten: zum einen das Apollo-Mondprogramm und die Minuteman-Atomraketen. Für die zivile Anwendung schlug Kilby die Entwicklung von Taschenrechnern vor, was der neuen Technologie endgültig zum Durchbruch verhalf. Allerdings auch erst nach Umwegen, denn die Manager bei Texas Instruments sahen in dem Prototyp, den Kilby am 29. März 1967 präsentierte, keine Perspektive. Das Gerät beherrschte nur die Grundrechenarten, hatte kein Display und spuckte die Ergebnisse auf Thermopapier aus.
TI vergab daraufhin die Lizenz für die Serienproduktion an den japanischen Konzern Canon. Im April 1970 kam der „Pocketronic“ in Japan auf den Markt; neun Monate später auch in den USA. Allerdings kosteten die ersten Taschenrechner damals noch knapp 400 Dollar. Erst im Verlauf der 1970er-Jahre fielen die Preise deutlich und Taschenrechner fanden allgemeine Verbreitung.
Kilby hatte sich zu dieser Zeit von TI beurlauben lassen, um als freier Erfinder zu arbeiten. Unter anderem beteiligte er sich daran, die Siliziumtechnologie für Photovoltaik anzuwenden. Von 1978 bis 1984 war er Professor für Elektrotechnik an der Texas A&M University.
Nach dem Tod seiner Frau, die 1981 im Alter von 54 Jahren starb, lebte Jack Kilby bei seiner Schwester Jane. Er starb am 20. Juni 2005 nach kurzer Krankheit im Alter von 81 Jahren.
Kilby war bescheiden. Von den unglaublichen Entwicklungen, welche die Erfindung des Mikrochips ermöglichte, beanspruchte er nur einen kleinen Teil für sich:„1958 hatte ich einfache Ziele: Kosten reduzieren, die Herstellung vereinfachen und Dinge kleiner und verlässlicher zu machen. Obwohl ich mich nicht für alle die folgenden Aktivitäten verantwortlich fühle, war es für mich sehr befriedigend, die Entwicklung der integrierten Schaltkreise zu verfolgen. Es freut mich, einen kleinen Teil dazu beigetragen zu haben, dass das Potenzial der menschlichen Kreativität in die praktische Realität umgesetzt werden konnte“, schloss er seinen Nobelvortrag.
Weitere Infos
- Nobelpreis für Physik 2000 an Jack Kilby
- Video: Joanna Rose im Interview mit den Physik-Nobelpreisträgern des Jahres 2000: Jack Kilby, Herbert Kroemer und Zhores Alferov
- Jack Kilby in der Hall of Fame des Zuse Instituts Berlin
Weitere Beiträge
- Dieter Bimberg und Hans-Joachim Queisser, Schneller und dichter – Physik-Nobelpreise 2000, Physikalische Blätter, Dezember 2000, S. 23 PDF
- Ullrich Pfeiffer und Thomas Röwer, Chip-Design zwischen Teilchenphysik und UMTS-Handys, Physik Journal, Januar 2003, S. 29 PDF
- Christoph Stampfer, Rezension von: Bernd Hoefflinger (Hrsg.): Chips 2020 (Springer 2012)