Anspruchsvolle Kombination
Vier Physik-Studenten gingen im Team Studi für Deutschland bei den Rhine-Ruhr 2025 FISU World University Games erfolgreich an den Start.
Kerstin Sonnabend
Alle zwei Jahre veranstaltet die Fédération Internationale du Sport Universitaire (FISU) ihre Sommer-Hochschulspiele, bei denen Studierende aus aller Welt in 15 Kernsportarten und bis zu drei zusätzlichen, vom Ausrichter bestimmten Disziplinen gegeneinander antreten. Das nach den Olympischen Sommerspielen größte internationale Multisportereignis war seit 1959 als „Universiade“ bekannt; 2020 erfolgte die Umbenennung in „FISU World University Games“. Dieses Jahr hat der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh) die Spiele in der Metropolregion Rhein-Ruhr ausgerichtet, wobei die Schwimmwettbewerbe in Berlin stattfanden. Damit war Deutschland zum zweiten Mal nach Duisburg 1989 Gastgeber.




Längst nehmen nicht mehr nur Studierende der Sportwissenschaften oder der landesüblichen Sportförderinstitutionen, wie in Deutschland der Bundeswehr oder der Polizei, teil: Die 305 Aktiven, die der adh für das Team Studi nominiert hat, decken einen breiten Bereich von Studienfächern ab. Dazu gehört auch die Physik – obwohl die Kombination aus Hochleistungssport und dem anspruchsvollen Studium herausfordernd ist.
Dass sich beides aber erfolgreich vereinen lässt, hat in früheren Jahren zum Beispiel der Langstreckenläufer Jan Fitschen bewiesen. Während seines Studiums an der Ruhr-Universität Bochum gewann der spätere Europameister über 10.000 Meter bei der Universiade im südkoreanischen Daegu 2003 die Goldmedaille auf dieser Strecke und Silber über die halbe Distanz. Die Gemeinsamkeit von Physik und Sport sah er bei einem Gespräch im Frühjahr 2018 vor allem darin, dass es für beides eine gewisse Leidenschaft brauche.

Im gesamten Team Studi finden sich „nur“ vier Physik-Studenten, von denen drei in ihrer Sportart bereits internationale Meisterschaften und Wettkämpfe absolviert haben. So war der Säbelfechter Max Müller bereits 2023 bei den World University Games im chinesischen Chengdu am Start. Dort traf er nach der Qualifikation in der ersten KO-Runde auf den späteren Bronzemedaillengewinner Samuel Jarry aus Frankreich – und hoffte nun bei seinem Heimspiel auf etwas mehr Losglück. „Die Stimmung bei den Gefechten in der Messehalle in Essen hat enorm gepusht“, sagte der 21-Jährige, der gerade seine Bachelor-Arbeit zur Kernstrukturphysik an der Universität zu Köln schreibt. Im vergangenen Jahr zwang ihn eine Fußverletzung, mit dem Sport kürzerzutreten: „Nach dieser Vorgeschichte war ich sehr froh, mich überhaupt für ‚Rhine-Ruhr 2025‘ zu qualifizieren.“ Dass er das Achtelfinale nach einem denkbar knappen Gefecht gegen den Spanier Carlos Florez Vargas nicht erreichte, ärgerte den ehrgeizigen Sportler aber dennoch, zumal die Entscheidung über den letzten Punkt zum 15:14 umstritten war.
Einen sportlichen Höhepunkt erlebte Max Müller beim Team-Wettkampf im Viertelfinale gegen Südkorea. „Es ist etwas Besonderes, gegen einen Olympiasieger anzutreten“, sagte er nach dem Gefecht gegen Park Sang-won, der im letzten Jahr in Paris die Mannschaftsentscheidung gewonnen hatte und nun bei den FISU World University Games Gold im Einzel und mit dem Team folgen ließ. „In Asien haben die Hochschulspiele einen viel höheren Stellenwert als bei uns in Europa“, meint Max Müller. Das zeige sich auch daran, dass Park Sang-won die Spiele den parallel stattfindenden Weltmeisterschaften vorgezogen hat, obwohl ein Start bei den FISU World University Games nicht einmal Weltranglistenpunkte bringt.

Dass in seiner Sportart die Crème de la crème in Essen an den Start ging, wunderte den Taekwondo-Kämpfer Fabian Reich dagegen nicht, handelt es sich bei den Hochschulspielen doch um die weltweit wichtigsten Meisterschaften für seine Disziplin Poomsae. „Anders als der Vollkontakt-Wettkampf ist Poomsae nicht olympisch“, erklärt der 22-jährige, der an der TU Berlin studiert und seine Bachelor-Arbeit zur Astroteilchenphysik schreiben möchte. Die Leidenschaft für Physik ist bei ihm auch familiär begründet: Sein Großvater Roland Reich hat ein noch heute beliebtes, wenn auch nur noch gebraucht erhältliches Lehrbuch zur Thermodynamik in der physikalischen Chemie geschrieben.
Wenn Fabian Reich die Bewegungsabläufe übt, deren exakte Ausführung beim Poomsae bewertet wird, hilft ihm oft, dass seine Trainerin Katrin Paschke als promovierte Physikerin eine Forschungsgruppe am Ferdinand-Braun-Institut in Berlin leitet: „Wir sprechen einfach die gleiche Sprache, wenn sie mit physikalischen Konzepten erklärt, wie eine Bewegung perfekt gelingt.“ Zusammen mit seinen beiden Teamkollegen erreichte er bei Rhine-Ruhr 2025 das Finale der besten achten Mannschaften. Nach dem klassischen Teil, bei dem das Trio vorgegebene Bewegungen exakt und synchron zeigen musste, folgte der Freestyle. Hier galt es auch, kreativ zu sein und dem Takt der gewählten Musik zu folgen. „Die akrobatischen Sprünge sind mir sehr gut gelungen“, meinte Fabian Reich und freute sich mit dem Team über Rang 7.
Das Finale als Ziel hatte sich auch der Ruderer Max von Bülow gesetzt – und souverän erreicht. Nach einem starken Halbfinale erfüllten sich die Medaillenhoffnungen des „Vierers ohne“ bei heftigem Gegenwind leider nicht: Das Quartett musste sich knapp geschlagen mit Rang 5 zufriedengeben. Die Mitglieder seiner Bootsklasse sind ein Paradebeispiel für die unterschiedlichen Interessen im deutschen Ruderteam für die FISU World University Games: Neben Physik studieren sie Betriebswirtschaftslehre, Medizin und Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Maschinenbau. So verschieden die Studiengänge, so harmonisch die Arbeit des Quartetts im Boot: „Wir haben uns vor den Wettkämpfen in einem gemeinsamen Trainingslager den nötigen Feinschliff geholt“, erklärte der Student der Universität Hamburg, der für seine Bachelor-Arbeit lichtaktivierbare Moleküle mit zeitaufgelöster Spektroskopie charakterisiert hat.
Während des Master-Studiums vertiefte Max von Bülow sein Interesse daran auch als Studentische Hilfskraft am Hamburg Advanced Research Center for Bioorganic Chemistry (HARBOR). Beim Rudern musste er sich im letzten Jahr dagegen neu orientieren. Als Leichtgewichtsruderer gehörte er fünf Jahre lang der Deutschen Nationalmannschaft an und gewann unter anderem Silber bei den Weltmeisterschaften 2023 im Doppelvierer. Weil bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 2028 das Leichtgewichtrudern vom „Coastal rowing“ ersetzt wird, versucht er sich nun in der offenen Gewichtsklasse. Ob er voll in den Olympischen Zyklus einsteigt, hänge auch davon ab, wie gut sich der Hochleistungssport mit der ab Herbst anstehenden Master-Arbeit kombinieren lässt.
Für Jonathan Gräfe war die Teilnahme an den FISU World University Games dagegen der erste Auftritt auf internationaler Bühne, zumindest was seine sportliche Leidenschaft angeht. Um mit dem Compound-Bogen die Nominierung zu schaffen, hat er sein Trainingspensum erhöht. Das zahlte sich bei den Spielen aus – mit Rang 17 in der Einzelwertung unter 64 angetretenen Schützen und Platz 7 mit dem Team. Bei Physik-Wettbewerben ist die Bilanz des 24-Jährigen, der bereits mit der Promotion begonnen hat, noch beeindruckender: Schon als Schüler gewann er bei der Internationalen PhysikOlympiade und der International Olympiad on Astronomy and Astrophysics Silbermedaillen; bei DOPPLERS gehörte er mehrmals zum Gewinnerteam und vertrat Deutschland anschließend bei PLANCKS mit mehreren Medaillen erfolgreich.
Die nächste Auflage der FISU World University Games findet 2027 in der südkoreanischen Region Chungcheong statt. Dort laufen die Vorbereitungen bereits jetzt auf Hochtouren, um den Sportlerinnen und Sportlern eine ebenso beeindruckende Veranstaltung wie bei Rhine-Ruhr 2025 zu bieten.
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