08.09.2025

Erstmals Materiewellen von Atomen durch einen Festkörper gebeugt

Das Verfahren öffnet neue Wege in der Materialforschung, um auch strahlungsempfindliche Proben untersuchen sowie strahlungsresistente Materialen entwickeln zu können.

Forschenden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist es erstmals gelungen, einen Atomstrahl durch einen Festkörper zu beugen. Bisher wurde dies nur mit Elektronen oder Neutronen gezeigt. Dabei nutzten sie, dass sich Atome wie Wellen verhalten können. Ähnlich wie Wasserwellen bilden Materiewellen ein charakteristisches Muster, wenn sie auf eine atomare Gitterstruktur treffen. Die Anwendungsmöglichkeiten sind enorm: Das Spektrum reicht von der Materialforschung über Nanotechnologien in der Industrie und möglicherweise bis in die Medizin. Das Verfahren kann helfen, gegen Weltraumstrahlung resistente Materialien zu entwickeln, beispielsweise für Raumfahrtelektronik. Die Technologie verspricht zudem eine schonende Untersuchung strahlungsempfindlicher Proben.

In der Materialforschung, in der Biomedizin und der Chemie ist die Elektronenmikroskopie ein unverzichtbares Analysewerkzeug. Die Materiewellen der Elektronen können einzelne Atome sichtbar machen. Damit ist es beispielsweise möglich, die Bildung von Kristallen, Fremdatome oder Fehlstellen in Atomgittern sowie die Güte von Oberflächen zu untersuchen. Bei der Transmissionsmikroskopie werden die Proben bisher mit einem Elektronenstrahl durchleuchtet. Dies bringt jedoch eine enorme Strahlenbelastung mit sich. „Die Strahlendosis ist lokal so hoch, dass sich das Verfahren nicht für organische Stoffe eignet“, erklärt Christian Brand vom DLR-Institut für Quantentechnologien.

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Das DLR entwickelt daher neue, zerstörungsfreie Messmethoden für die Material­forschung. Die Technologien basieren auf Materiewellen von Atomen. Sie versprechen eine zerstörungsfreie, bildgebende Analyse atomarer und molekularer Strukturen in Festkörpern und organischen Proben.

Am DLR-Institut für Quanten­technologien ist es nun erstmals gelungen, Atomstrahlen an einem Festkörper zu beugen. Die DLR-Wissenschaft­lerinnen und Wissen­schaftler haben in einer Vakuum­kammer Wasserstoff- und Heliumatome auf Geschwindigkeiten von bis zu zwei Millionen Kilometer pro Stunde beschleunigt und damit eine ultradünne Membran aus Graphen durchleuchtet. Diese bestand aus nur einer einzelnen Schicht von regelmäßig angeordneten Kohlenstoff­atomen.

Beim Durchdringen der Graphenmembran zeigte der Atomstrahl seine quanten­physikalischen Wellen­eigenschaften. Als Materiewellen umfliegen die einzelnen Atome mehrere Kohlenstoffatome der Probe gleichzeitig. Dabei werden sie ähnlich wie Wasserwellen an Hindernissen abgelenkt und überlagern sich hinter der Probe. Dort entsteht ein Beugungs­muster, das auf einem Schirm sichtbar wird. Form und Größe des Beugungs­musters erlauben Rückschlüsse, wie die Atome in der Probe angeordnet sind.

Materiewellen von Atomen öffnen gegenüber Verfahren mit Elektronen- oder Neutronenstrahlen neue Möglichkeiten in der Material­forschung. Der große Vorteil von Atomen ist, sie sind elektrisch neutral. Sie wechselwirken mit den Proben wesentlich schonender als Elektronen. Damit lässt sich der atomare oder molekulare Aufbau auch von strahlungs­empfindlichen Proben bestimmen, beispiels­weise in der organischen Chemie oder perspek­tivisch auch in der Biologie und Medizin. Zum anderen lassen sich Atomstrahlen einfacher erzeugen als Neutronen­strahlen, für die ein Kernreaktor nötig ist.

Um das Beugungs­muster der Materiewellen aufnehmen zu können, dürfen die Atome in dem Strahl nicht zu langsam und nicht zu schnell sein. „Die Herausforderung war, die Graphen­membran so rein wie möglich zu halten und die Geschwindigkeit des Atomstrahls so anzupassen, dass wir die Beugungs­effekte deutlich sehen konnten. Festkörper sind so massiv, dass Atomstrahlen sie normalerweise nicht durchdringen können. Die Atome bleiben darin einfach stecken“, erklärt Carina Kanitz, die das Experiment durchgeführt hat. Die Atome dürfen aber auch nicht zu schnell sein, sonst überlagern sich die einzelnen Strukturen des Beugungs­musters und lassen sich nicht mehr auseinanderhalten.

„Wir haben uns natürlich gefragt, warum die empfindlichen Quantenzustände der Atome beim Durchdringen der Probe nicht zerstört werden. Sonst gäbe es kein Beugungsbild, wie wir es gemessen haben“, erklärt Christian Brand. Die Antwort lieferten Simulationen aus der Gruppe von Toma Susi, Leiter der Abteilung Physik Nano­struktu­rierter Materialien an der Universität Wien. „Die Atome sind so schnell, dass sie nur den Millionsten Teil einer Milliardstel Sekunde Zeit haben, mit der Probe zu interagieren. Das ist so kurz, dass die Quanten­zustände erhalten bleiben“, sagt Prof. Susi.

Die Wasserstoff- und Heliumatome quetschen sich regelrecht durch die Graphen­membran hindurch. „Je schneller die Atome durch die Membran hindurch­fliegen, umso weniger müssen sie die Kohlenstoff­atome in der Membran zur Seite drücken, desto geringer ist die quanten­physikalische Wechselwirkung zwischen Atomstrahl und Probe. Der Atomstrahl verhält sich dann wie eine breite Welle, die den Festkörper großflächig durchdringt“, ergänzt Brand.

Die DLR-Forscherinnen und -Forscher wollen die Beugung von Atomen nun an Materialien erproben, die sich mit den bisherigen Methoden nur schwer untersuchen lassen. Der Fokus liegt auf Stoffen der organischen Chemie, wie Polymer­membranen für Filtersysteme, bis hin zu Materialien für Elektronik­bauteile.

Aktuell sind rund zweitausend funktionale 2D-Materialien wie Graphen bekannt. Sie besitzen oft spezielle elektrische Eigenschaften. Atomar dünne Membranen haben als Hightech-Werkstoffe ein enormes Potenzial, um elektronische Bauteile zu miniatu­risieren. Dies macht sie besonders für die Raumfahrt interessant. Anwendungen reichen von Miniatur­kondensatoren bis zu Quanten­sensoren für elektrische und magnetische Felder.

Die Technologie der Materiewellen von Atomen kann helfen, strahlungs­resistente Materialien zu entwickeln und zu erproben. Teilchen­strahlung mit Energien wie in den Beugungs­experimenten ist im Weltraum allgegenwärtig, beispiels­weise im Sonnenwind. Dies kann strahlungsempfindliche Materialen oder auch elektronische Bauteile beim Einsatz im Orbit schädigen. In Atom­gittern entstehen Defekte wie Einschusslöcher, Moleküle können zerbrechen. Mit Hilfe von Materie­wellen­experimenten lassen sich solche Bedingungen mit Atom-, Ionen- und Elektrone­nstrahlen im Labor nachstellen. Das Ziel ist ein tieferes Verständnis, wie Materie und Teilchen­strahlen wechselwirken und Lösungen zu finden, wie sich Strahlen­schäden vermeiden lassen. [DLR / dre]

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Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)

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