15.07.2024

Nebulöser Teilchensucher

Vor 50 Jahren starb der britische Physik-Nobelpreisträger Patrick Maynard Stuart Blackett.

Anne Hardy

„Zwischenruf beim Fußball“ überschrieb die „Welt“ in Hamburg ihre Notiz am 5. November 1948. „Auf den Pfiff des Schiedsrichters trat Patrick Maynard Stuart Blackett gegen den Ball, das Spiel der Studentenmannschaft in Cambridge begann. Wenig später wurde es abgebrochen: jemand war von der Universität herbeigerannt und hatte über den Platz geschrien: ‚Blackett hat den Nobelpreis bekommen!‘ Plötzlich war er wieder Professor Blackett – beim Fußball pflegten die Studenten das zu vergessen.“

Der 51-Jährige war Professor an der Universität Manchester und für seine Weiterentwicklung der Nebelkammer von Charles Wilson bekannt. Dafür und für die daraus resultierenden Entdeckungen in der Kernphysik und der kosmischen Höhenstrahlung wurde Blackett ausgezeichnet. 1924, vor 100 Jahren, war dem damals 27-jährigen Studenten von Ernest Rutherford die erste Aufnahme einer Kernumwandlung gelungen.

Patrick Blackett, geboren am 18. November 1897 in London als Sohn eines Börsenmaklers, hatte seine Laufbahn bei der Royal Navy begonnen. Mit 17 besuchte er das College in Dartmouth und zog zwei Jahre später als Kadett auf der HMS Carnavon in den Ersten Weltkrieg. Er nahm an dem Seegefecht um die Falklandinseln (Dezember 1914) und der Skagerrakschlacht (Mai 1916) teil. Letztere war mit insgesamt 250 Großkampfschiffen die größte Seeschlacht des Ersten Weltkriegs und mit hohen Verlusten für die Britische Flotte verbunden.

Blackett, der Mängel im Schießwesen der Britischen Flotte erkannt hatte, begann sich im Selbststudium mit Wissenschaft und Technik zu beschäftigen. Die von ihm vorgeschlagene Verbesserung wurde von der Royal Navy zum Patent angemeldet. Nach dem Krieg, Blackett war inzwischen zum Leutnant befördert worden, sandte die Marine ihn zum Abschluss seiner Ausbildung nach Cambridge. Fasziniert von dem intellektuellen Leben an der Universität und insbesondere vom Cavendish-Laboratory, quittierte Blackett den Dienst bei der Marine und begann, Mathematik und Physik zu studieren. Nach seinem Bachelor-Abschluss 1921 arbeitete er zehn Jahre bei Ernest Rutherford ohne jemals zu promovieren.

Patrick Blackett um 1930
Patrick Blackett um 1930
Quelle: AIP Emilio Segrè Visual Archives, courtesy Lawrence Badash

Rutherford trug dem jungen Blackett auf, die Kernreaktion von Stickstoff beim Beschuss mit Alpha-Teilchen in der Nebelkammer sichtbar zu machen. Innerhalb von vier Jahren machte der junge Forscher 23.000 Aufnahmen, auf denen 415.000 Spuren ionisierter Teilchen zu sehen waren. Acht davon gabelten sich. Aus diesen Spuren war erkennbar, dass der Stickstoffkern sich durch Aufnahme des Alpha-Teilchens in ein Fluoratom verwandelt hatte, das anschließend in ein Sauerstoff-Isotop und ein Proton zerfiel. Trotz dieser Erfolge ließ es sich Blackett nicht nehmen, 1924/25 einen Ausflug in die Atomphysik bei James Franck in Göttingen zu unternehmen.

Bei seiner Rückkehr nach Cambridge hatte er den Forschungsstudenten Robert Oppenheimer zu betreuen. Blackett setzte den experimentell unbegabten Studenten mit seinen Ansprüchen unter Druck. In dem Film Oppenheimer rächt sich dieser, indem er Blackett einen vergifteten Apfel auf den Schreibtisch legt. Diese Episode beruht auf einem Geständnis Oppenheimers gegenüber John Edsall und Jeff Wynam. Diese interpretierten sie jedoch als Halluzination und schrieben sie dem damals instabilen Geisteszustand ihres Freundes zu.

Ungeachtet dessen scheint Blackett eine gewisse militärische Härte und Eigenwilligkeit an sich gehabt zu haben. So lehnte er in seinem späteren Leben einige Ehrungen ab. Den Historiker John Heilbron, der ihn für das Oral History Project des American Institute of Physics interviewen wollte, speiste er mit einer halben Stunde ab. Er verweigerte den Mitschnitt des Gesprächs und wollte keinerlei biographische Informationen geben. In seinem Lebenslauf für die Nobelseite steht, dass er seit 1924 mit Constanza Bayon verheiratet war und einen Sohn und eine Tochter hatte.

Anders als mit Oppenheimer verstand sich Blackett mit dem jungen italienischen Forscher Guiseppe Occhialini, der 1932 in seine Arbeitsgruppe kam, bestens. Aus den drei Wochen, die Occhialini ursprünglich bleiben wollte, wurden drei Jahre. Er brachte seine Expertise zum Geigerzähler mit, der zu dieser Zeit noch ein störanfälliges Instrument war. „Damit es funktionierte, musste man an einem Freitagabend in der Fastenzeit auf das Kabel spucken“, witzelte Blackett, der im Übrigen Atheist war. Zur Erforschung der kosmischen Höhenstrahlung positionierten sie je einen Geigerzähler ober- und unterhalb der Nebelkammer. Der Photomechanismus löste nur aus, wenn ein Teilchen quasi gleichzeitig beide Geigerzähler durchquerte.

Aus der Kern- und Teilchenwelt

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Michael Walter • 6/2012 • Seite 53

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Seltsame Kerne

Diese Arbeit begann noch bevor Carl David Anderson seine Entdeckung des Positrons in „Science“ publizierte. Sobald sie Andersons Artikel gelesen hatten, der im Übrigen ohne Aufnahmen erschienen war, suchten Blackett und Occhialini auf ihren eigenen Platten nach solchen Ereignissen und fanden sie in großer Zahl. Blackett zufolge war Niels Bohr zunächst nicht von Andersons Beweisen überzeugt, änderte aber seine Meinung, als er die Fotografien aus Cambridge sah. Paul Dirac, der das Positron vorausgesagt hatte, arbeitete sehr eng mit den beiden zusammen und besuchte sie oft im Labor.

Blackett und Occhialini entdeckten auch „Schauer“ positiver und negativer Elektronen. Die traten etwa gleich häufig auf. Diese und die Tatsache, dass Positronen normalerweise kein Bestandteil der Materie auf der Erde sind, brachte die beiden zur Hypothese der Paarbildung: Demnach können aus Gammastrahlen zwei materielle Teilchen (Positronen und Elektronen) entstehen. Den umgekehrten Prozess, die Annihilationsstrahlung, konnten sie ebenfalls experimentell nachweisen. Bei der Interpretation dieser Experimente orientierten sich Blackett und Occhialini an Diracs Theorie des Elektrons.

1933 wurde Blackett Professor am Birkback College in London. Dort zog er internationale Forscher an, die mit ihm die kosmische Höhenstrahlung erforschten. 1937 wurde er Nachfolger von Sir Lawrence Bragg an der Universität Manchester. Doch für sein Labor hatte Blackett bald keine Zeit mehr. Während des Zweiten Weltkriegs diente er dem Royal Aircraft Establishment als wissenschaftlicher Berater. Der „Blackett Circus“ entwickelte quantitative Modelle und Methoden zur Unterstützung militärischer Entscheidungen im U-Boot-Krieg gegen Deutschland. Damit begründete Blackett das Forschungsgebiet des Operational Research. Während des Blitzkriegs befasste er sich auch mit der englischen Flugabwehr.

Nach dem Krieg nahm Blackett seine Arbeiten zur kosmischen Strahlung wieder auf. 1947 entdeckten seine Mitarbeiter Rochester und Butler die ersten beiden Teilchen aus der Familie der heute als „strange“ bezeichneten Teilchen. Sie identifizierten ein geladenes und ein ungeladenes Teilchen, die beide instabil waren und in leichtere Teilchen zerfielen. Bald nach dieser Entdeckung wurden der Magnet und die Nebelkammer zum Pic du Midi-Observatorium in den Pyrenäen transportiert. Innerhalb weniger Stunden nachdem sie die Instrumente aufgebaut hatten, entdeckten Butler und seine Mitarbeiter ein neues, noch seltsameres Teilchen: Es hatte eine größere Masse als das Proton und zerfiel in ein Pi-Meson und ein instabiles „Hyperon“. Letzteres zerfiel in ein Proton und ein Pi-Meson.

Der zum politisch linken Spektrum gehörende Blackett vertrat in der Nachkriegszeit die Ansicht, England solle keine eigenen Atomwaffen entwickeln. Für sein 1948 erschienenes Buch „Military and Political Consequences of Atomic Energy” wurde er öffentlich scharf kritisiert, auch in den Physikalischen Blättern, in denen Blackett seine Ansichten zusammengefasst hatte. Selbst die Labour-Partei, der er nahestand, empfand Blackett während ihrer ersten Regierungsperiode als „zu links“, um ihn als Berater hinzuzuziehen.

Daraufhin engagierte sich der britische Forscher als Berater des indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru für militärische und zivile Forschung. Blackett war davon überzeugt, dass sich Armut mit wissenschaftlichen und technischen Mitteln bekämpfen lässt. Er versuchte, sein Prestige als Nobelpreisträger zu nutzen, um andere Wissenschaftler für dieses Anliegen zu gewinnen. Ebenso schlug er vor, Großbritannien solle ein Prozent seines Bruttosozialprodukts als Entwicklungshilfe ausgeben.

Patrick Blackett in seinen späteren Jahren
Patrick Blackett in seinen späteren Jahren
Quelle: AIP Emilio Segrè Visual Archives

Unter Harold Wilson, der 1963 an die Spitze der Labour-Partei gewählt wurde, gehörte Blackett einer Gruppe von Wissenschaftlern an, die die Gründung eines „Ministry of Technology“ vorbereiteten. Dieses wurde 1964 bis 1970 realisiert, als Labour an die Macht kam. Blackett war während der ganzen Regierungszeit Wilsons persönlicher wissenschaftlicher Berater. In dieser Eigenschaft machte er sich auch für die Wiederbelebung der Computerindustrie stark. Parallel dazu leitete er ab 1953 die Physikabteilung des Imperial College of Science and Technology, London, wo er bis zu seiner Pensionierung im Juli 1963 blieb. Er starb am 13. Juli 1974 in London.

In seinem Nachruf in „Nature“ schrieb der Geophysiker Edward Bullard: „Als ich Blackett das letzte Mal sah, bemerkte ich, sein Porträt in der Royal Society lasse ihn sehr ernst erscheinen. Er antwortete: ‚Aber ich bin ein sehr ernster Mann‘. Das war er auch; er kümmerte sich um das, was er für wichtig hielt, er dachte gründlich nach und vertrat seine Ansichten mit Nachdruck. Das hätte ihn ermüdend und langweilig machen können, aber er war […] wunderbar intelligent, charmant, lustig, würdevoll und gut aussehend. Er hatte jede Art von Ehrung erhalten [...] Zu allem Überfluss war er mit einer der reizendsten Frauen der Welt verheiratet, die viel dazu beitrug, dass er nicht zu ernst wurde.“

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