Physik und Medizin unter einem Dach
Am 20. September wurde das Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin in Erlangen feierlich eröffnet.
Maike Pfalz
Schon seit mehr als hundert Jahren profitiert die Medizin in der Diagnostik und für die Therapie von der Physik – Beispiele sind etwa Röntgenuntersuchungen, die Magnetresonanztomografie, Positronen-Emissions-Tomografie oder Ultraschall beziehungsweise Laserskalpelle oder robotergestützte Chirurgie. Doch die Physik ist mehr als nur ein „hilfreicher Werkzeugkasten“ der Medizin: Um aus einer physikalischen Sichtweise heraus neue Erkenntnisse zum Verständnis von lebenden Systemen, biologischen Prozessen und deren krankhaften Veränderungen zu gewinnen und diese in die medizinische Anwendung zu überführen, arbeiten am Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin (MPZPM) in Erlangen drei Partner zusammen: das Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (MPL), die FAU Erlangen-Nürnberg sowie das Universitätsklinikum Erlangen (UKER). Mit einem Festakt wurde der neue gemeinsame Forschungsbau am 20. September an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des MPZPM übergeben.
„Unsere Geschichte nahm im Februar 2013 mit einem Anruf des damaligen MPG-Vizepräsidenten ihren Anfang, der uns fragte, ob wir eine gute Idee für eine bedeutende bayerische Investition hätten“, erinnert sich Vahid Sandoghdar, Direktor für die Abteilung Nano-Biophotonik am MPL. Damals hatte der Freistaat Bayern angeboten, über die Max-Planck-Gesellschaft etwa 60 Millionen Euro in wissenschaftliche Forschung zu investieren. So entstand die Idee zu dem Joint Venture von MLP, FAU und UKER.
Im August 2014 verabschiedete die bayerische Staatsregierung Fördermittel in Höhe von 600 Millionen Euro für fast 60 Investitionsprojekte, 2017 unterzeichneten Vertreter der drei Partner des MPZPM den Kooperationsvertrag, im Oktober 2020 erfolgte der erste Spatenstich, im Mai 2021 die Grundsteinlegung und im Juli 2022 das Richtfest. Mit einem hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Symposium und dem Festakt wurde der neue Forschungsbau, der über fast 6000 Quadratmeter Nutzfläche verfügt und Platz bietet für rund 180 Forschende, nun mit zahlreichen Festgästen und hochrangiger Prominenz aus Politik und Wissenschaft eröffnet.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder betonte in seinem launigen Grußwort die Bedeutung exzellenter Wissenschaft: „Unsere Strategie, Wissenschaft, also Grundlagen- und angewandte Forschung, zu fördern, ist die Basis für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort.“ Grundlagenforschung sei hierbei essenziell, denn ohne sie könne keine Anwendung entstehen. Die wichtige Rolle eines solchen Zentrums und dessen Förderung für die Wirtschaft hob auch Staatsminister Hubert Aiwanger hervor: „Bayern wird nur dann seinen Wohlstand halten und an der Spitze dabei sein können, wenn wir eine gute Forschungsinfrastruktur haben.“ Das Zusammenwirken von Uniklinikum, Universität und einem Max-Planck-Institut sei zum Erfolg geradezu verurteilt und die 60 Millionen Euro in gute Hände investiert.
Nicht nur die Kooperation drei solcher Partner ist einzigartig, sondern auch der Fokus, auf dem die Forschung liegt: Das Zentrum soll die bisherigen Grenzen der Fachbereiche Physik und Medizin weiter aufbrechen; die Physik soll eine integrale Rolle zum Verständnis des Lebens in der kollaborativen Grundlagenforschung spielen. „Unser ausdrücklicher Schwerpunkt liegt auf der grundlegenden Rolle, die die physikalischen Eigenschaften von Zellen und Geweben und ihre physikalischen Wechselwirkungen bei den Prozessen von Leben und Krankheit spielen“, erläutert Jochen Guck, Sprecher des MPZPM. Damit wollen die Forschenden auf innovative Weise einen Beitrag zur Medizin der Zukunft leisten.
Das MPZPM wird fünf permanente Forschungsgruppen beheimaten: Kristian Franze leitet die Forschungsabteilung „Neuronale Mechanik“ und untersucht, wie zelluläre Kräfte, lokale mechanische Zell- und Gewebeeigenschaften und zelluläre Mechanosensitivität zur Entwicklung und Erkrankung des Zentralen Nervensystems beitragen. Jochen Guck erforscht mit seinem Team die physikalischen Eigenschaften von lebenden Zellen und Geweben mithilfe neuartiger photonischer und biophysikalischer Werkzeuge. Die Gruppe von Benoît Ladoux will verstehen, wie physikalische Prinzipien die Selbstorganisation von Zell- und Gewebesystemen sowie ihre Anpassung an mechanische Zwänge der Umwelt bestimmen. Vahid Sandoghdar entwickelt mit seiner Gruppe neuartige Mikroskopieformen und kontrollierte Experimentplattformen in der Biophysik, um die Wechselwirkung zwischen einzelnen Viren, Vesikeln und Proteinen mit Zellen und Geweben zu entschlüsseln. In der Abteilung von Vasily Zaburdaev geht es um theoretische Modelle, um die komplexen biologischen Phänomene und ihre Auswirkungen auf Krankheiten zu verstehen. Temporäre Forschungsgruppen werden dieses Programm ergänzen.
Das neue Gebäude liegt mitten auf dem Campus des Uniklinikums und gewährleistet damit den unmittelbaren Austausch von Fachleuten aus Physik und Medizin, den direkten Zugang zu Patientenproben und die Anbindung der Forschung an aktuelle klinische Fragestellungen. Es spreche viel für das in Erlangen vorgelegte Konzept, betonte Joachim Hornegger, Präsident der FAU Erlangen-Nürnberg: „Physik und Medizin unter einem Dach, das ist einzigartig und strahlt weltweit aus.“ Damit sei es gelungen, vier zusätzliche Alexander von Humboldt-Professuren nach Erlangen zu holen. „Das ist ein schöner Beleg dafür, dass wir hier etwas Außergewöhnliches vorhaben.“