29.11.2024

Der Vor-Relativist

Vor 150 Jahren wurde der österreichische Physiker Friedrich Hasenöhrl geboren, der auf klassischem Wege eine Energie-Masse-Äquivalenz fand.

Anne Hardy

E = 3/8 mc2, diese erste Gleichung zur Äquivalenz von Energie und Masse publizierte der österreichische Theoretiker Friedrich Hasenöhrl erstmals 1904. Das war ein Jahr bevor Einsteins spezielle Relativitätstheorie mit der wohl berühmtesten physikalischen Gleichung E = mc2 erschien. Hasenöhrls Arbeit zur „Theorie der Strahlung bewegter Körper“ beruhte auf einem Gedankenexperiment. Darin betrachtete er zwei Schwarze Strahler, die in einem Hohlraum eingeschlossen waren und sich aufeinander zu bewegten. So kam er zum „Begriff einer scheinbaren, durch Strahlung bedingten Masse“. Den Faktor 3/8 korrigierte er 1905 auf 3/4.

Friedrich Hasenöhrl (1874 – 1915)
Friedrich Hasenöhrl (1874 – 1915)

Wolfgang Pauli kommentierte rückblickend, Hasenöhrls Arbeit zur Strahlung im bewegten Hohlraum sei von historischem Interesse, da sie allein auf Grund der Elektrodynamik, auch ohne Relativitätstheorie, behandelt werden kann: „Man kommt dann notwendig dazu, der bewegten Strahlungsenergie Impuls, also auch träge Masse zuzuschreiben. Es ist interessant, dass dieses Resultat schon vor Aufstellung der Relativitätstheorie von Hasenöhrl gefunden wurde. Seine Schlüsse waren allerdings in einigen Punkten verbesserungsbedürftig. Eine vollständige Lösung des Problems gab zuerst K. v. Mosengeil.“

Erst 2011 machten sich die amerikanischen Wissenschaftshistoriker Stephen Boughn und Tony Rothman die Mühe, Hasenöhrls Arbeit von einem modernen, relativistischen Standpunkt aus zu untersuchen, um herauszufinden, wo er in die Irre ging. Unter anderen berücksichtigte Hasenöhrl nicht, dass die Strahlungsquellen während der Bewegung an Masse verlieren, d. h. er hat einen Teil der Energie-Masse-Beziehung übersehen, die er zeigen wollte. Sein Verdienst bleibt jedoch, als erster erkannt zu haben, dass elektromagnetische Energie zur Masse strahlender Körper beiträgt.

Geboren am 30. November 1874 in Wien, war Hasenöhrl nur fünf Jahre älter als Einstein. Seine Kindheit verbrachte er in den gesicherten Verhältnissen der k.u.k. Monarchie. Der Vater war Regierungsrat sowie Hof- und Gerichtsadvokat und die Mutter entstammte dem niederen österreichischen Adel. Der begabte Junge studierte ab 1892 Physik und Mathematik an der Universität Wien bei Franz Exner, Josef Stefan und Ludwig Boltzmann. Alle drei leisteten bedeutende Beiträge zur Thermodynamik.

1894 unterbrach Fritz Hasenöhrl sein Studium, um ein Jahr als Freiwilliger beim 4. Dragoner-Regiment in der Wiener Neustadt zu dienen. Während dieser Zeit wohnte er mit dem Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal zusammen. Zwei Jahre später wurde er zum k.u.k. Leutnant der Reserve ernannt. 1897 promovierte er bei Franz Exner über ein thermodynamisches Thema. Seine Zeit als Postdoktorand verbrachte er auf Empfehlung Boltzmanns im Kältelaboratorium von Heike Kamerlingh-Onnes in Leiden. Dort traf er auch den späteren Nobelpreisträger Hendrik Antoon Lorentz, der sein Interesse für theoretische Physik weckte.

Bei seiner Rückkehr nach Wien im März 1899 heiratete Fritz Hasenöhrl und veröffentlichte ein halbes Jahr später seine Habilitationsschrift. Wenig später erhielt er die venia legendi und begann, Vorlesungen an der Universität Wien zu halten. Sie galten als unübertrefflich klar, verständlich und streng logisch aufgebaut. Dazu kamen seine herzliche und gewinnende Persönlichkeit. Von seinen Doktoranden verlangte er in Prüfungen ein beträchtliches Wissen. Zu seinen berühmtesten Schülern gehören Paul Ehrenfest und Erwin Schrödinger. Dieser sagte, er verdanke Hasenöhrl, dass er sich der theoretischen Physik zugewandt habe. Niemand habe ihn mehr beeinflusst, mit Ausnahme seines Vaters.

Als Einstein 1905 seine spezielle Relativitätstheorie ableitete, kannte er Hasenöhrls Arbeit nicht. Hasenöhrl hat ihm dies nicht verübelt und auch keinen Prioritätsstreit mit ihm geführt. Ihm war klar, dass er seine Arbeit im Rahmen der klassischen Physik verfasst hatte, während Einstein mit der speziellen Relativitätstheorie nicht nur eine allgemeine Formulierung gefunden, sondern physikalisches Neuland betreten hatte.

Friedrich Hasenöhrl (rot eingekreist) nahm am ersten Solvay-Konferenz 1911 in...
Friedrich Hasenöhrl (rot eingekreist) nahm am ersten Solvay-Konferenz 1911 in Brüssel teil, wo er auch auf Albert Einstein traf.

In Österreich wurde Hasenöhrls Arbeit 1905 auf Vorschlag Ludwig Boltzmanns mit dem renommierten Haitinger-Preis der Wiener Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Das förderte seinen Ruf als Theoretiker auch über die Grenzen Österreichs hinaus. Als Schlüsselfigur der theoretischen Physik in Österreich wurde er 1911 zur ersten Solvay-Konferenz nach Brüssel eingeladen, wo er Einstein das erste und einzige Mal in seinem Leben persönlich begegnete. Auch bei der zweiten Solvay-Konferenz 1913 war Hasenöhrl dabei.

Zeitgenossen von Hasenöhrl

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Seit 1907 war er Nachfolger von Ludwig Boltzmann am Institut für theoretische Physik an der Universität Wien – nach einem kurzen Intermezzo als außerordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Wien. Mit seinen 33 Jahren war er der jüngste auf der Berufungsliste und als dritter platziert, nach Max Planck und Wilhelm Wien.

Schon bald nach seiner Berufung zeigte er sich seiner Aufgabe gewachsen. Die begabten Studenten förderte er und pflegte mit ihnen ein nahezu freundschaftliches Verhältnis. „So mancher Student lernte bei Hasenöhrl nicht nur ein solides physikalisches Grundwissen sowie eigenständiges Denken und das Lösen physikalischer Aufgaben, sondern auch Klettern und Wandern und ließ sich von der Begeisterung des jungen Professors für die Alpen anstecken“, schrieb die Wiener Presse 2015 zum Gedenken an Hasenöhrl.

Ebenso wie Einstein spielte Hasenöhrl Geige. Allerdings verlangte er im Gegensatz zu diesem von sich und seinen Mitspielern mehr als bloßes Mittelmaß. So soll er seiner Verlobten, die bei der Hausmusik am Klavier saß, mit dem Geigenbogen auf die Finger geklopft haben, wenn sie falsch spielte.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete Hasenöhrl sich freiwillig. Er wurde dem Festungskommando in Krakau als physikalisch-technischer Referent zugeteilt. Üblicherweise dienten Wissenschaftler nicht an der Front, doch Hasenöhrl erwirkte nach der Kriegserklärung Italiens, dass er im Mai 1915 in die Nähe von Trient versetzt wurde. Im Juli zwang ihn eine Schulterverletzung zu einem Lazarettaufenthalt in Salzburg. Wieder an der Front starb er am 7. Oktober, nachdem ihn Granatsplitter am Kopf verwundetet hatten, nur wenige Wochen vor seinem 41. Geburtstag. Er hinterließ seine Frau und zwei Kinder.

Durch seinen frühen Tod gerieten Hasenöhrls Vorläuferarbeiten zur speziellen Relativitätstheorie in Vergessenheit. Erst im Nationalsozialismus erinnerten sich Vertreter der „deutschen Physik“ (im Wesentlichen Philipp Lenard und Johannes Stark) an seine Arbeit, vereinnahmten Hasenöhrl für Ihre Zwecke und bezichtigten Einstein zu Unrecht des Plagiats. Nach dem zweiten Weltkrieg geriet Hasenöhrl erneut in Vergessenheit, bis zur Wiederentdeckung durch Stephen Boughn und Tony Rothman.

Die Universität Wien erinnerte am 28. November 2024 mit einer Veranstaltung an Friedrich Hasenöhrl; die Wiener Universitätsbibliothek konnte im Sommer 2024 seine Vorlesungsmanuskripte erwerben. Seine Einführung in die Mechanik enthält neben zahlreichen Formeln und Berechnungen auch viele Skizzen von Hasenöhrls Hand und zeigt, wie akribisch er seine Vorlesung vorbereitete.

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